Dorf mit hoher Aufenthaltsqualität
Stefan Tittmann ist Mitglied der Arbeitsgruppe Gestaltung Dorfzentrum Teufen (AGDT) und vertritt die Interessen der «Pro Velo Region SG/AR». Er findet, dass die geplanten Dorfgestaltungsmassnahmen mehr Aufenthaltsqualität für Jung und Alt bringen werden.
Im Interview äussert sich Stefan Tittmann, Mitglied der AGDT, zu den Dorfgestaltungsplänen und deren Vor- und Nachteile. Er legt seine Argumente dar, weshalb die Doppelspur das Dorf entschleunigen wird und weshalb Tempo 30 im Zentrum von Teufen Sinn macht.
Stefan Tittmann: Sie sind Mitglied der Arbeitsgruppe Gestaltung Dorfzentrum Teufen (AGDT). In dieser Funktion vertreten Sie in erster Linie die Interessen der «Pro Velo Region SG/AR». Sind Sie der Ansicht, dass die künftige Doppelspur eine Entschleunigung für den Teufner Strassenverkehr mit sich bringt?
Stefan Tittmann: Davon bin ich überzeugt, ja. Generell ist ein Trend festzustellen, dass immer mehr Dorf- und Stadtzentren dank reduzierter Maximalgeschwindigkeit entschleunigt und somit sicherer werden. Diverse Studien und breit abgestützte Untersuchungen untermauern diese Beobachtungen. Bremswege werden kürzer, es wird vermehrt Blickkontakt aufgenommen. Diese Verständigung führt nachweislich zu erhöhter Eigenverantwortung aller Verkehrsteilnehmenden und zu weniger Konflikten.
Was entgegnen Sie Stimmen, die befürchten, dass man künftig als Autofahrer bei Tempo 30 nicht mehr überholen und ständig den Appenzeller Bahnen hinterher kriechen muss?
Die Zugkompositionen der Appenzeller Bahnen werden künftig ab dem Spar mit einer maximalen Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometern durch Teufen fahren. Da ist es doch nur konsequent, dass der motorisierte Verkehr sich diesem Regime anpasst. Auch in der Vergangenheit fuhren wohl die Wenigsten mit mehr als 40 Stundenkilometern durch Teufen. Aufgrund der beengten Platzverhältnisse ist dies nur in Randstunden möglich. Ich bin sicher die Auto- und E-Bikefahrenden werden sich sicher schnell mit der Tempo-30-Limite im Zentrum arrangieren und es geniessen, anderen zuwinken zu können.
Kommen wir auf die vorgesehenen Dorfgestaltungs-Massnahmen zu sprechen, die am 16. Mai der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Welche davon finden Sie besonders sinnvoll?
Da gibt es verschiedene Komponenten. Eine beachtliche Verbesserung werden sicher die geplanten Trottoir-Überfahrten sein. Wer von einer Seiten- in die Hauptstrasse abbiegen will, muss zuerst das Trottoir queren. Das bringt mehr Komfort und Sicherheit für die FussgängerInnen. Im Weiteren erachte ich die beiden durchgehenden Beläge, mit denen klar erkennbar Verkehrsraum und Aufenthaltszonen differenziert werden, als eine praktische wie auch ästhetisch sinnvolle Massnahme. Auch das angedachte Lichtkonzept, die Bepflanzungen und die Versetzung des Dorfbrunnens begrüsse ich sehr. Mit diesem Gesamtpaket gewinnt das Dorfzentrum von Teufen bestimmt an Qualität und Mehrwert.
Welche geplanten Massnahmen überzeugen Sie weniger?
Für mich persönlich ist die vorgesehene Parkplatzanzahl an der oberen Grenze – aber zur Zeit vertretbar. Dies deshalb, weil ich davon ausgehe, dass sich auch in Teufen das individuelle motorisierte Verkehrsaufkommen dank smarten Mobilitätangeboten, wie Sharing oder Hauslieferdiensten massiv reduzieren wird. Wenn dies eintritt, können mit wenig Aufwand die überflüssig gewordenen Parkfelder einer anderen Nutzung zugeführt werden. Ich denke dabei beispielsweise an eine Strassenbeiz vor dem Anker.
Insgesamt ist der Gestaltungsvorschlag eine runde Sache. Die Verantwortlichen der Gemeinde haben im Entscheidungsprozess sehr gute Arbeit geleistet und mit grossem Aufwand versucht, den verschiedenen Bedürfnissen der Dorfbevölkerung gerecht zu werden. Dass dies Kompromisse und Eingeständnisse von allen Beteiligten voraussetzt, versteht sich von selbst.
Brachten Sie in den öffentlichen Workshops ihrerseits Vorschläge ein, die nun weiterverfolgt werden?
Mir ist bei meiner Mitarbeit in der AGDT wichtig, dass bei all den langfristigen Planungen der konsequente Blick auf die schwächsten Verkehrsteilnehmer, wie Kinder, Menschen mit Beeinträchtigung und Senioren, nicht vergessen geht. Aufgrund dessen habe ich mich vor allem für ein möglichst tiefes Temporegime eingesetzt.
Wie beschreiben Sie die Atmosphäre und Grundhaltungen in der Arbeitsgruppe und während den Workshops?
Die AGDT-Mitglieder und auch die Teilnehmenden in den Workshops stehen für ganz unterschiedliche Interessensgruppen. Vor diesem Hintergrund war es für mich sehr motivierend zu erleben, dass das Gros der Mitwirkenden konstruktiv mitarbeitete und der neuen Dorfgestaltung wohlwollend gegenübersteht. Die Meisten haben die intensiven Bautätigkeiten als Chance erkannt, unserem Dorf neuen Glanz einzuhauchen. Im Bauleitungs-Quartett Appenzeller Bahnen, Bundesamt für Verkehr, Kanton und Gemeinde, ist Letztere ganz klar die schwächste Mitspielerin. Deshalb müssen wir als Dorfbevölkerung mit einer möglichst geschlossenen Stimme sprechen – ansonsten stehen wir auf verlorenem Posten.
Was könnten Ihrer Einschätzung nach die Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung der neuen Dorfgestaltung sein?
Problematisch und langwierig kann die ganze Planungs- und Realisierungsphase dann werden, wenn Einzelinteressen zu viel Gewicht gewinnen. Das könnte beispielsweise eintreten, wenn die Diskussion über Fussgängerstreifen zum zentralen Politikum würde. Ich begrüsse auch in diesem Fall pragmatische Lösungen und lieber einen Streifen mehr, der dann in ein paar Jahren wieder aufgelöst werden kann, statt uns durch nicht enden wollende Diskussionen zu blockieren. Unbekannte Komponenten gibt es momentan noch diverse. Ich denke dabei an die Landverkäufe, die das Einverständnis von verschiedenen Eigentümern voraussetzt. Auch den sportlichen Zeitplan, den die Appenzeller Bahnen vorgeben, stellt eine Herausforderung für die Dorfgestalter dar. Und dann ist da natürlich auch noch die ganze Kostenfrage. Aufgrund dieser diversen Unsicherheiten ist es umso wichtiger, dass wir als Bevölkerung von Teufen grossmehrheitlich hinter einem Gesamtprojekt stehen.
Bitte drücken Sie in einem Satz aus, was Sie sich von der neuen Dorfgestaltung Teufen erhoffen:
Ich erhoffe mir durch die Dorfgestaltung ein Zentrum mit hoher Aufenthaltsqualität für Jung und Alt. Das Zentrum soll zum Kommen und Verweilen einladen. Wenn sich die Menschen gerne etwas länger im Zentrum aufhalten, geben sie tendenziell auch mehr Geld hier aus. In Teufen Einkaufen oder sich zu gesellschaftlichen Anlässen treffen, sollen positive Erlebnisse sein, die Lust auf baldige Wiederholung machen.
Stefan Tittmann lebt mit seiner Familie im Bächli, ist heute schon gern zu Fuss im Zentrum unterwegs und pendelt mit E-Bike, Roller oder ÖV nach St.Gallen. Der 48-Jährige engagiert sich als Delegierter der «Pro Velo Region SG/AR in der AGDT und arbeitet an der Fachhochschule St.Gallen als Dozent und Leiter des Ostschweizer Zentrums für Gemeinden.
Interview: Rosalie Manser